Sie alle haben sicherlich schon mal etwas über KI, Robotik, Drohnen, 3D-Druck, autonomes Fahren, usw. gehört/gelesen. Das sind hochspannende Themen und Technologien, welche das Bild der zukünftigen Logistik prägen werden. Aber mal abgesehen von diesen einzelnen zukunftsweisenden Technologien und Neuentwicklungen: Wie könnten die Szenarien in der urbanen Logistik um das Jahr 2030 aussehen?
Im Oktober 2018 hat Roland Berger dazu eine Studie verfasst und 4 mögliche Szenarien beschrieben. Aber zunächst: Warum steht hier gerade die urbane Logistik im Vordergrund?
Etwa 77% der Deutschen wohnen in Städten oder Ballungsgebieten. Der Onlinehandel nimmt stetig zu, auch schon vor Corona war jährlich eine Umsatzsteigerung von ca. 8-10% zu beobachten. Kunden werden immer anspruchsvoller und suchen stets nach der schnellsten und individuellsten Lieferung („Same-Day-Delivery“, etc…). Auch der Einzelhandel wird anspruchsvoller. Bestellungen/Lieferungen finden nicht mehr in festen Zeitfenstern statt, sondern sollen möglichst flexibel, auch für kleinere Mengen, erfolgen.
Auf dem urbanen Raum entsteht also zunehmend Handlungsbedarf, um die immer stärker aufeinandertreffenden Interessen der verschiedenen Akteure wie z. B. der Stadt, der Bürger, der Logistik-Dienstleister, dem Einzelhandel, usw., in Einklang zu bringen.
Das Ökosystem „Stadt“ ist von den massiven Folgen des zunehmenden Lieferverkehrs betroffen: Lieferfahrzeuge parken oft ordnungswidrig, blockieren die Straßen und tragen zu erhöhten Feinstaubemissionen / Treibhausgasen bei. Es fehlen Logistikflächen in der Stadt, um die Lieferketten zu optimieren. Hinzu kommt ein Personalmangel, vor allem bei Fahrern, was zu erhöhten Lohnkosten führt. Subunternehmer in der urbanen Logistik haben es immer schwerer, die zunehmenden Herausforderungen zu meistern.
Gefragt sind innovative und nachhaltige Lösungen, wie z. B. Lieferungen durch Lastenfahrräder oder per Drohne, gemeinsame Packstationen mehrerer Anbieter, Mikrodepots als kleine Lager in der Stadt, City-Hubs, usw..
Letztendlich sind einzelne Lösungen aber nicht in der Lage, die urbane Logistik wirklich zukunftsfähig zu machen. Die Stadt und die einzelnen Anbieter sind gefragt, die Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken.
Die 4 von Roland Berger identifizierten möglichen Szenarien, in welche Richtung sich die urbane Logistik zukünftig hinbewegen könnte, sind:
- Wilder Westen
Durch fehlende Regulierungen haben neue Anbieter einen leichten Markteintritt. Der Konkurrenzdruck steigt. Der Trend zu schnelleren, flexibleren und kleinteiligen Lieferungen sowie fehlende Kooperationen der Anbieter untereinander führt dazu, dass mehr Lieferfahrzeuge unterwegs sind, die jedoch nicht ausgelastet sind. Während sowohl B2B- als auch B2C-Kunden von einer höheren Warenverfügbarkeit profitieren, sinkt die Attraktivität des städtischen Raums.
- Regulierte Vielfalt
Bei diesem Szenario greift die Stadt regulierend ein, um die urbanen Logistikverkehre effizienter zu steuern, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren und dadurch die Lebensqualität der Bürger zu verbessern.
Bei einem hohen Konkurrenzdruck mit wenigen Standardisierungen / Kooperationen der Anbieter gäbe es für diese im Vergleich zum „Wilden Westen“ weniger Spielraum, die anspruchsvollen Kundenbedürfnisse zu befriedigen.
3. Stadtplattform
Sämtliche urbanen Warenströme werden über eine Stadtplattform anbieterübergreifend gebündelt und optimiert. Die Stadt sowie auch andere Anbieter können hierbei dezentrale Lagerflächen zur Verfügung stellen. Angebot sowie Nachfrage für die Auslieferung ab dieser dezentralen Lagerflächen laufen über die Plattform zusammen, über welche ebenfalls die Beauftragung sowie die Abrechnung erfolgt. Die Plattform bietet den Akteuren Transparenz über die verfügbaren Zustellkapazitäten und -bedarfe und eröffnet neue Möglichkeiten hinsichtlich der Geschäftsmodelle und Zusammenstellung der Flotten. Dank künstlicher Intelligenz werden jeweils die besten Routen / der beste Preis gefunden. Somit profitieren Kunden als auch Bürger durch ein garantiertes Service-Level.
4. Koexistenz der Großen
Es existieren wenige große, kommerziell ausgerichtete Plattformen, die miteinander konkurrieren. Die Plattformen bündeln sämtliche Kapazitäten. Fahrzeuge, Personal, Flächen etc., können kurzfristig und von verschiedenen Dienstleistern genutzt werden. Logistikanbieter, welche nicht einer Plattform angeschlossen sind, werden nach und nach aus der Stadt verschwinden. Die Anforderungen der Kunden treiben Innovationen bei den Plattformbetreibern an. B2B- und B2C-Kunden profitieren durch schnelle und individuell zusammengestellte Lieferungen.
Es müssen jetzt schon die Weichen gestellt werden, um die urbane Logistik 2030 nachhaltig und effizient zu gestalten. Das Szenario „Wilder Westen“ gilt es zu verhindern, da dieses mit einer massiven Zunahme des innerstädtischen Verkehrs und mit einer noch stärkeren Behinderung des Verkehrsflusses verbunden wäre. Dazu müssen Städte und Unternehmen gemeinsam gegenlenken. Die getroffenen Maßnahmen sollten zum Ziel haben, die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern.
Durch Schaffung von Kurzzeit-Parkbuchten, Fahrstreifen für Lastenräder, Vermietung von Flächen für Mikrodepots können Kommunen den Logistik-Dienstleistern ihre Arbeit erleichtern. Investitionen in geräuscharme Logistik und Ausbau der Nachtlogistik sollten gefördert werden. Regeln, die verkehrsbehinderndes Verhalten untersagen und bestrafen, müssen geschaffen werden.
Die Unternehmen sind u.a. gefordert, ihre Geschäftsprozesse an den Regulierungsrahmen anzupassen, Ihre Nachtlogistik durch Einsatz von E-Fahrzeugen auszubauen und bei ihren Produkten und Zustellverfahren ggf. anfallende City-Mount-Gebühren zu berücksichtigen. Durch Kooperationen mit anderen Unternehmen und gemeinsame Standards können Synergien geschaffen werden, um die Logistik effizienter zu gestalten.
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